Man muss hier schon genau im Wörterbuch nachschlagen, möchte man die Anspielung auf den Klassiker “Have I Told You Lately That I Love You” verstehen (sei es nun jener von Scotty Wiseman oder Rod Stewart). “To loathe” ist kein alltägliches englisches Verb und kann am ehesten mit “hassen” oder “verabscheuen” übersetzt werden. Eine heftige Aussage prangt hier also vom neutral gehaltenen Cover des aktuellen Albums Have I Told You Lately That I Loathe You der schwedischen Band Holmes. Aber welche Geschichte erzählen uns die elf Nummern?
Gleich vorweg: Holmes Geschichte erzählt von keiner Begebenheit, die einen solchen Albumtitel erklären würde. Es wird nicht die letzte Trennung besungen oder von der aktuellen, unerwiderten Liebe erzählt. Der klassische Aufbau einer Geschichte – die behutsame Einführung, der Höhepunkt und das auflösende Ende – werden dem Hörer nicht in Form der Lyrics erzählt, nein, sie werden ihm musikalisch präsentiert. So sind es vielmehr die durch die Musik vermittelten Stimmungen, welche die Geschichten erzählen und den roten Faden spannen. Stimmungen, hervorgerufen durch Unsicherheit, Hilflosigkeit, Angst, Sehnsucht und Hoffnung. Beinahe jede der elf Nummern hat ihren eigenen Charakter, jede Nummer wird somit zum eigenen Charakter.
Wenn der Opener “True Lies” mit reduzierten Klaviertönen “Have I Told You Lately That I Loathe You” eröffnet, sich schnell aber mit Gitarre und Harmonika bereichert, erinnert dieser im Vergleich mit einer Geschichte an die vorbereitende Einführung, da er früh dem Album seine markantesten Eigenschaften gibt und es in eine entscheidende Richtung lenkt. “Voices and Vices” klingt dagegen wie eine erste Rückblende, eine Erinnerung an vergangene, bessere Zeiten. Als Höhepunkt fungiert “The Strangest Calm”, der mithilfe seines Wegbereiters “Malysz” quasi das „loathe“ der Geschichte erklärt. Wir erleben mit “46” eine bedrückte Reflexion und mit “Olis” ein paar Minuten des Durchatmens. Das Ende der Geschichte wird mit “Blod” eingeleitet und findet in “Breathing” ihr finales, elegisches Ende, dem es eigentlich nichts mehr hinzuzufügen gibt. Holmes haben ihre Geschichte erzählt und dabei nichts Entscheidendes ausgelassen. Vielmehr noch, denn die Geschichte überzeugt und es gelingt ihr, den Hörer durch ein verständliches und darum ergreifendes Wechselbad der Gefühle zu führen. Auch als Hörer hadert man mit dem Jetzt, bereut und trauert über Vergangenes und hofft auf Zukünftiges, wenn es am Ende in “Breathing” heißt:
And I let it all go, my fears and pride.
To try to keep breathing!
Ein letztes Mal holen nach diesen Zeilen die Gitarren aus, intensiver als je zuvor auf diesem Album. Ganz so, als würden sie zu guter Letzt doch noch um ihr gutes Ende Bescheid wissen. Erst nach Minuten verstummen sie. Einen Hidden Track gibt es nicht, die Geschichte hat ihr Ende gefunden, Platz für eine neue wurde geschaffen.
Grund zur Freude: Holmes gastieren am 18. Mai 2011 in der Arena (DreiRaum).