Es fühlt sich fast so an, als sei es schon ewig her, als Ed Harcourt mit seinen ersten beiden Alben für Aufsehen unter allen Liebhabern klavierlastiger und hinsichtlich ihrer Texte ausgeklügelter Balladen sorgte. Heute sind darum Nummern wie “Those Crimson Tears” vom Debütalbum Here Be Monsters oder Sister Renee vom Nachfolger From Every Sphere, die aufgrund ihrer Unberührtheit stets ausstrahlten, als wären sie erst vor wenigen Minuten eingespielt worden, fast schon legendär. Spätestens 2004 schien Harcourt nämlich einen gewissen Stilwechsel zu besiegeln. Auf dem Album Strangers, welches in diesem Jahr veröffentlicht wurde, standen vermehrt durcharrangierte Pop-Nummern im Vordergrund, die Klavierlast suchte man vergebens. Fast wirkte es so, als wollte sich Harcourt bewusst der eigenen Stärken berauben. Wie verhält es sich aber nun auf seinem neuen Album Lustre? Bekommen wir mit seinem Letztwerk wieder mehr Lust auf Ed Harcourt?
Einmal kräftig Durchatmen! Ed Harcourt hat es mit “Lustre” möglicherweise wieder zurück auf die Playlist vieler enttäuschter Fans geschafft. Aber warum erst jetzt wieder? Der Weggang vom Major Label Heavenly kann kein Grund dafür sein, schließlich entstanden dort auch Harcourts beste Werke. War etwa das selbst auferlegte Sabbatical der Grund, einer Auszeit von Musik, die Harcourt in den ersten sieben Jahren seines Schaffens nicht wenig als vier Studioalben und zwei Compilations veröffentlichen ließ? Vier lange Jahre liegen auf jeden Fall zwischen “Lustre” und seinem Vorgänger The Beautiful Lie. Eine Zeit, die man, gemessen am Ergebnis, allerdings gerne in Kauf nimmt! Gründe für das “Warum erst jetzt wieder?” werden beim Hören von Harcourt’s Letztwerk nämlich schnell nebensächlich.
Lustre beginnt mit dem Titelsong “Lustre”, liefert mit “Haywired” schon früh das potentielle Highlight zukünftiger Konzerte und findet mit “Do As I Say Not As I Do” und “So I’ve Been Told” (Klavierlast!) zu weiteren Höhepunkten. So gesehen ist “Lustre” schon mal das beste Album seit “From Every Sphere” und “Haywired” die beste Nummer seid “This One’s For You” vom Album “Strangers”. Denn alleine Harcourt’s Textzeilen genügen, um zu entzücken:
“Lustre from the ruby red blood on my hands when you pulled out all the thorns”
“It’s not easy to be happy and get away with it”
“Oh to all the people that I might have offended. You probably needed it, so take your cake and eat it”
Auf der anderen Seite der Waagschale wiegen Nummern wie “Church With No Religion” oder “A Secret Society” schwer, kratzen sie doch mit ihren plakativen Aussagen für harcourt’sche Verhältnisse viel zu sehr nur an der Oberfläche und wirken dadurch zu einseitig und unreflektiert. Harcourt scheint offensichtlich ähnliche Fehler immer wieder zu begehen, indem er die eigenen Stärken viel zu leichtsinnig gegen waghalsige musikalische Versuche eintauscht. So kann “Lustre” in Summe seinen ersten Vorgänger zwar nicht das Wasser reichen, als komplettes Album gesehen ist es aber dennoch ein “Lustre”, ein Glanz am Horizont für die Musik – sowohl für jene von Ed Harcourt, als auch für jene eines ganzen Genres. Es zeigt nämlich sehr deutlich auf, wie viel mehr ein Lied wiegen kann, wenn in ihm ein Text gesungen wird, der vor Wortwitz nur so sprießt und dessen Intention man nicht beim ersten Hören verstehen, zur Kenntnis nehmen, abhacken kann, sondern der seine Hörer immer wieder herausfordert. Wenn man das zukünftig bei Ed Harcourts Alben wieder von einem Großteil der Lieder sagen kann, dann ist das ein neuer Grund zur Freude.